Das neue Antidiskriminierungsgesetz in Berlin

Berlin antidiskriminierungsgesetz

>Ein Antidiskriminierungsgesetz in Berlin. Darauf warten viele Betroffene schon sehr lange. Was das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht schafft, muss ein Landesgesetz kompensieren.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gilt nur im Zivilrecht

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) regelt nur Diskriminierungen im zivilen Bereich, also bei Beschäftigungen, bei der Wohnungssuche oder beim Zugang zu verschiedenen Gütern (Einlass in Diskothek, Restaurants u. Ä.). Sie gilt nicht im öffentlichen Recht, d. h. wenn der Staat und seine Bediensteten diskriminieren. Diskriminierte konnten sich nur auf das Gleichbehandlungsgebot in Art. 3 GG beziehen, was jedoch nur ein Grundrecht darstellt und eben keine gesetzlichen Bestimmungen enthält.

Nun dient das Antidiskriminierungsgesetz Berlin insbesondere dem Schutz vor Diskriminierungen der öffentlichen Hand und regelt klar, was zu tun ist. Dieses Gesetz ist bundesweit einzigartig.

Erweiterte Diskriminierungsmerkmale

Die Berliner Gesetzgeber haben den Diskriminierungsschutz hinsichtlich der bezogenen Diskriminierungsmerkmale erweitert.
Sie haben explizit nicht den Begriff der „Rasse“ gewählt, sondern die „rassistische Zuschreibung“, da die Differenzierung in Rassen nicht mehr zeitgemäß ist. Es gibt auch den kulturellen Rassismus (z. B. antimuslimischen Rassismus) was mit dem biologischen Rassismusbegriff nicht gleichzusetzen ist. Laut Gesetzesbegründungen müssen sich durch die „Verwendung der Begrifflichkeit der
(Fremd-)Zuschreibung Betroffene selbst nicht mehr einer bestimmten „Rasse“ zuordnen und damit eine essentialistische Eigenzuschreibung vornehmen, wenn sie eine Diskriminierung geltend machen wollen“.

Auch enthält das Antidiskriminierungsgesetz Berlin das neue Diskriminierungsmerkmal der chronischen Erkrankung hinzu. Dazu die Gesetzesbegründung wie folgt:

Ein chronisch kranker Mensch leidet an einem Körper- oder Geisteszustand, der für einen längeren Zeitraum Krankenbehandlungen erfordert und regelmäßig zu erhebli- chen Beeinträchtigungen der normalen Lebensführung dieses Menschen führt. Dis- kriminierungen aufgrund einer chronischen Erkrankung treten im Rahmen des Gel- tungsbereichs des LADG vor allem im Bildungsbereich auf (siehe Expertise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Thema „Schutz vor Benachteiligung auf- grund chronischer Krankheit“, 2012, Seite 25). Für chronische Erkrankungen sind Einschränkungen von wahrscheinlich langer Dauer charakteristisch. Eine Diskriminie- rung aufgrund einer chronischen Erkrankung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn mit der Erkrankung soziales Vermeidungsverhalten und Stigmatisierungen ge- genüber der erkrankten Person einhergehen. (Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18/1996, S. 22)

Was sehr erstaunlich und wirkmächtig ist, ist das erweiterte Merkmal „sozialer Status“. Damit erkennt der Gesetzgeber deutlich, dass gesellschaftliche Bilder und Zuweisungen zu einer Stigmatisierung und Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihres Einkommens, Berufes, Kleidung aber auch durch den sozialen Status als alleinerziehender Elternteil, und den Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und Kultur im Zusammenhang mit dem fa- miliären Bildungshintergrund und Finanzstatus führen.

Der soziale Status beschreibt die wirkmächtige Zuordnung einer sozialen Position in einem System sozialer, d.h. gesellschaftlich eingeschriebener und historisch ge- wachsener Rangordnungen und Hierarchien. Die Zuordnung eines bestimmten sozialen Status ist also ein Produkt eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses, der über Kategorisierungen, Stereotypisierungen, Reduzierungen und Hierarchisierungen zu einer ungleichen Verteilung von Lebenschancen führt. (Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18/1996, S. 22)

Die Sprache wird nun explizit eingefügt und muss nicht mehr durch das Diskriminierungsmerkmal der Ethnie begründet werden.

Beweislastumkehr

Grundsätzlich müssen Kläger*innen die anspruchsbegründenden Voraussetzungen einer Norm beweisen. Wer der Ansicht ist, dass jemand einem etwas schulde, der/die muss dies auch beweisen.

Das Antidiskriminierungsgesetz Berlins regelt aber nun erfreulicherweise eine Vermutungsregelung: diskriminierte Personen müssen (nur) Tatsachen glaubhaft machen, die eine Diskriminierung wahrscheinlich machen und die öffentliche Stelle muss diesen Verstoß widerlegen. Eine eidesstaatliche Versicherung ist für die Glaubhaftmachung ausreichend, wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich vermerkt.

Die Gesetzgeber aus Berlin füllen damit eine unionsrechtswidrige Lücke des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes des Bundes aua. Dort sind die Beweistlastregeln deutlich strenger: die diskriminierte Person muss Indizien beweisen. Dies führe dazu, dass Betroffene von Klagen absehen, weil sie eine Diskriminierung oft nicht nachweisen können. Die Berliner haben einen Fehler der Bundesgesetzgeber erkannt und korrigieren ihn. Wie schön!

Für die Glaubhaftmachung der Tatsachen ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass das Vorliegen einer Diskriminierung oder Maßregelung wahrscheinlicher ist als das Nichtvorliegen. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Die prozessuale Folge der dann greifenden widerleglichen Vermutungsregel ist eine volle Umkehr der Beweislast. Der beklagten öffentlichen Stelle obliegt sodann nach allgemeinen Grundsätzen der Beweis des Gegenteils.

Verbandsklagerecht

Einmalig für Deutschland führt das Antidiskriminierungsgesetz Berlin ein Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände ein und setzt die europäischen Vorgaben nun wirksam durch. Verbände können durch Gerichte feststellen lassen, dass öffentliche Maßnahmen (nicht nur im Einzelfall) diskriminieren. Dadurch sollen insbesondere institutionelle Diskriminierungen besser durchgesetzt werden, da sie für Betroffene oft nicht klar erkennbar sind und eine Schutzlücke herrsche. Wenn also ein anerkannter Verband eine diskriminierende Regel erkennt, kann sie diese Diskriminierung feststellen lassen, ohne dass eine betroffene Person selbst klagt.

Diversity Leitprinzip

Die Berliner Gesetzgeber machen die „Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt“ zur Chefsache und binden sich selbst: Das Prinzip soll als „durchgängiges Leitprinzip bei allen Maßnahmen der öffentlichen Stellen“ berücksichtigt werden. Mitarbeiter*innen sollen durch Schulungen Diversity-Kenntnisse erlernen, die sie dann in ihrer Leitfunktion umsetzen. Ferner soll der Berliner Senat landesweite Maßnahmen zur Förderung einer solchen Kultur ergreifen.

Antidiskriminierungsgesetz Berlin und Klageflut?

Auch im Vorwege des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 2006 gab es eine große Sorge vor einer Flutwelle an Klagen, wie heute immer noch für das neue Antidiskriminierungsgesetz Berlin. Fast 15 Jahre später sehen wir, dass die wenigsten Betroffene auch tatsächlich klagen. Durch die Erleichterungen des Berliner Antidiskriminierungsgesetzes wird diese Zahl eventuell ansteigen, aber das sollte doch ein gutes Zeichen sein: Was die Gesellschaft und Politik nicht alleine verändern kann, das muss die kontrollierende Gewalt der Justiz sicherstellen.

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