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> s. LG Berlin, 515 Qs 93/24 Beschluss vom 20.12.2024 (sofortige Beschwerde)<<

 

Die Staatsanwaltschaft Berlin beantragte am 4. September 2024 einen Strafbefehl gegen die Angeschuldigte, da diese am 2. März 2024 bei der Versammlung „Global South Resists“ in Berlin ein Transparent mit der sogenannten „Hirak-Faust“ gezeigt habe. Dieses Symbol sei ein Kennzeichen des in Deutschland verbotenen Vereins „Samidoun – Palestinian Solidarity Network“. Das Transparent enthielt zudem den Schriftzug „Thawra Hamburg“. Der Angeschuldigten sei bewusst gewesen, dass das Zeigen solcher Symbole durch das Vereinsverbot untersagt war.

Das Amtsgericht Tiergarten lehnte den Strafbefehlsantrag am 7. November 2024 ab, da kein hinreichender Tatverdacht vorliege. Es stellte fest, dass die abgebildete Faust nicht mit der „Hirak-Faust“ von „Samidoun“ identisch sei und sich in wesentlichen Merkmalen unterscheide, etwa durch die umgekehrte Farbgebung, die Fingerlängen und die zusätzlichen Gestaltungselemente wie das rote Dreieck. Zudem trug das Transparent den Schriftzug „Thawra Hamburg“, eine eigenständige pro-palästinensische Organisation aus Hamburg, die nicht mit „Samidoun“ in Verbindung stehe.

Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein und argumentierte, dass die abgebildete Faust der „Hirak-Faust“ zumindest zum Verwechseln ähnlich sei. Die Verteidigung der Angeschuldigten wies darauf hin, dass das Symbol eine allgemeine Bedeutung habe und ein generelles Verbot gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit verstoße.

Das Gericht wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurück. Es argumentierte, dass die Faust aufgrund ihrer Gestaltung keinen hinreichenden Grad an Ähnlichkeit mit dem Symbol des verbotenen Vereins aufweise. Es handle sich um ein eigenständiges Kennzeichen von „Thawra Hamburg“, einer Organisation mit anderer Zielrichtung. Auch die erhobene Faust sei ein allgemeines Symbol für Widerstand und Solidarität, das nicht automatisch mit „Samidoun“ assoziiert werde. Daher bestand kein hinreichender Tatverdacht für eine Strafbarkeit nach dem Vereinsgesetz.

Die Argumente des Gerichts im Einzelnen:

1. Wesentliche Unterschiede im Erscheinungsbild des Symbols

Das Gericht führte aus, dass das Symbol auf dem Transparent der Angeschuldigten wesentliche Unterschiede im Erscheinungsbild im Vergleich zur „Hirak-Faust“ des verbotenen Vereins „Samidoun“ aufweist:

  • Farbgebung: Die Faust auf dem Transparent der Angeschuldigten zeigt eine umgekehrte Farbgestaltung. Während die „Hirak-Faust“ des verbotenen Vereins eine spezifische Farbaufteilung aufweist, zeigt das Symbol der Angeschuldigten eine andere Farbanordnung:

    • Der Daumen und die linke Seite der Faust sind schwarz,
    • der mittlere Bereich ist weiß,
    • die rechte Seite grün. Diese Farbgebung entspricht der palästinensischen Flagge, unterscheidet sich jedoch deutlich von der Gestaltung des Kennzeichens von „Samidoun“.
  • Rotes Dreieck: Die Faust der Angeschuldigten enthält ein zusätzliches rotes Dreieck am unteren Rand, das ebenfalls ein Bezugselement der palästinensischen Flagge darstellt, jedoch bei der „Hirak-Faust“ fehlt.

  • Finger- und Armlänge: Die Faust auf dem Transparent unterscheidet sich auch durch die Länge des Unterarms sowie die Gestaltung der Finger von der „Hirak-Faust“.

  • Schriftzug „Thawra Hamburg“: Das Transparent trägt den Zusatz „Thawra Hamburg“, der klar darauf hinweist, dass es sich um ein Kennzeichen der Organisation „Thawra Hamburg“ handelt. Dieser Schriftzug macht eine Verwechslung mit der „Hirak-Faust“ von „Samidoun“ unwahrscheinlich.


2. Symbol gehört zu „Thawra Hamburg“, nicht „Samidoun“

Das Gericht stellte fest, dass die abgebildete Faust ein Symbol der Organisation „Thawra Hamburg“ ist, wie aus deren Internetpräsenz hervorgeht. Es betonte dabei:

  • Unabhängigkeit von „Samidoun“: Die Organisation „Thawra Hamburg“ ist eine eigenständige Vereinigung aus Hamburg, die sich als migrantische Selbstorganisation versteht und sich für ein „freies Palästina“ sowie für Opfer antisemitischer Gewalt in Deutschland einsetzt. Sie hat keine direkte Verbindung zu „Samidoun“ und unterscheidet sich auch in ihren Zielrichtungen.

  • Selbstdarstellung von „Thawra Hamburg“: Die Organisation präsentiert sich ausdrücklich als eigenständige antizionistische und pro-palästinensische Bewegung. Dies zeigt, dass das Symbol der Angeschuldigten nicht für „Samidoun“ steht, sondern für eine andere Vereinigung.


3. Keine Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG

Das Gericht prüfte, ob das Symbol auf dem Transparent der Angeschuldigten dem verbotenen Kennzeichen von „Samidoun“ zum Verwechseln ähnlich sei, und verneinte dies. Es legte dabei folgende Maßstäbe zugrunde:

  • Definition der Verwechslungsähnlichkeit: Eine Verwechslungsgefahr liegt nur vor, wenn ein unbefangener Betrachter das Symbol ohne Weiteres für das Kennzeichen des verbotenen Vereins halten kann. Dies erfordert eine objektiv wahrnehmbare Übereinstimmung in wesentlichen Merkmalen.

  • Unzureichende Übereinstimmung: Obwohl einige allgemeine Merkmale (z. B. die erhobene Faust und die Farben der palästinensischen Flagge) ähnlich sind, unterscheiden sich die beiden Symbole deutlich in wesentlichen Punkten (Farbgebung, Gestaltung der Finger, Länge des Unterarms, zusätzlicher Schriftzug). Diese Unterschiede verhindern eine Verwechslungsähnlichkeit.

  • Symbolik der erhobenen Faust: Das Gericht berücksichtigte, dass die erhobene Faust ein allgemein bekanntes Symbol für Widerstand und Solidarität ist, das von verschiedenen sozialen und politischen Bewegungen genutzt wird. Eine Verwechslung allein aufgrund der Faustform oder der Farbgestaltung könne daher nicht angenommen werden.


4. Allgemeine Bedeutung des Faust-Symbols

Das Gericht betonte, dass die erhobene Faust ein universell genutztes Symbol ist und nicht ausschließlich mit „Samidoun“ oder einem anderen verbotenen Verein assoziiert wird. Insbesondere im Kontext des Nahostkonflikts wird die Faust von verschiedenen Bewegungen verwendet. Dies schließt eine Verwechslungsgefahr weiter aus.


5. Meinungs-, Kunst- und Versammlungsfreiheit

Die Verteidigung argumentierte, dass ein generelles Verbot des Symbols einen Eingriff in die Grundrechte der Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und Versammlungsfreiheit darstellen würde. Das Gericht ließ dieses Argument zwar nicht explizit ausschlaggebend sein, erkannte jedoch an, dass die Nutzung eines universellen Symbols wie der erhobenen Faust nicht pauschal verboten werden kann, da dies unverhältnismäßig wäre.


6. Ergebnis: Kein hinreichender Tatverdacht

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass weder die Nutzung eines verbotenen Kennzeichens gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG noch eine andere strafbare Handlung (z. B. nach §§ 86a, 140 StGB) vorliegt. Die Unterschiede zwischen den beiden Symbolen und der allgemeine Charakter der erhobenen Faust als universelles Widerstandssymbol rechtfertigen keinen hinreichenden Tatverdacht. Damit wurde die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.

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